Wenn Ahnen wieder auferstehen
Mario von Moos und Manuel Aicher helfen, der Geschichte der eigenen Familie auf die Spur zu kommen
Die meisten Menschen kennen ihre Eltern und Grosseltern, vielleicht sogar die Urgrosseltern - aber was ist mit weiter entfernten Vorfahren? Mario von Moos und Manuel Aicher helfen Interessierten, die Geschichte der eigenen Familie aufzuspüren.
Ernst Baumeler
Nicht selten wiederholen sich in Familien Schicksale auf rätselhafte Weise.
Das können Krankheiten wie Krebs oder Todesfälle nach Herzinfarkten sein. Oder Angehörige einer Familie sterben stets zur gleichen Jahreszeit oder im selben Lebensalter. Ein fast unglaublicher Fall trug sich in Frankreich zu. Über drei Generationen hinweg verunfallte jeweils ein Kind im Alter von sechs Jahren am ersten Schultag im Strassenverkehr. Solche unerklärlichen Ereignisse bringen einen zum Grübeln und können zum Nachforschen in der
Familiengeschichte anregen. Gesucht wird eine Antwort auf das Unerklärliche.
Das Motiv, den Ahnen nachzuforschen, liegt dann nicht mehr nur darin, die eigene Neugierde zu stillen. Es geht um das persönliche Wohlergehen, wie die Genealogen Manuel Aicher und Mario von Moos im Gespräch in ihrem Büro in Dietikon festhalten.
Von Schulthess zu Henry
«Genealogie», so der Fachbegriff, ist die Wissenschaft von der Abstammung von Menschen, wobei diese biologisch oder rechtlich verstanden werden kann . Der Laie spricht von «Familiengeschichte» oder «Familienforschung». Der Jurist Manuel Aicher und der Elektroingenieur von Moos haben schon in ihrer
Jugend begonnen, die eigenen Vorfahren aufzuspüren und ihren Familienstammbaum zu erstellen. Längst haben beide ihre Passion auf wissenschaftlicher Basis zum Beruf gemacht. Sie bera ten Interessierte bei familiengeschichtlichen Recherchen und führen selbst solche durch. Ein Ergebnis ihrer Arbeit ist die kürzlich erschienene umfangreiche Genealogie zur Zürcher Familie Schulthess. Die Ahnen der Familie Schulthess lassen sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Von Moos und Aicher haben fast alle nach Nordamerika ausgewanderten Angehörigen aufgespürt. Einer amerikanischen Familie namens Henry konnten sie nachweisen, dass sie ursprünglich Schulthess hiess: Ein Vorfahre hatte den Namen abgelegt und seinen Vornamen als Familiennamen gewählt. Seit den 1990er Jahren interessieren sich in der Schweiz und in Mitteleuropa immer mehr Menschen für Ahnenforschung – besonders auch junge. Antrieb dazu ist oft die Suche nach ungeklärten Familiengeheimnissen oder das Bedürfnis, «sich an die Geschichte oder eigene Herkunftsregion anzubinden», wie Aicher sagt.
Hilfe von «Kommissar Zufall»
Mit dem Aufkommen neuer Familienformen und von Patchworkfamilien wollen Halbgeschwister oder Adoptivkinder oft wissen, wer ihre biologischen Eltern sind. Oder Jugendliche suchen den leiblichen Vater, weil die Mutter den Namen nicht nennen will. Die systematische Familienforschung hilft, solche Fragen zu klären. Manchmal ist dabei auch Hilfe von «Kommissar Zufall» nötig. Mario von Moos erinnert sich an eine junge uneheliche Walliserin, für die er mehr über ihre Mutter in Erfahrung bringen sollte. Diese war bei der Geburt der Tochter gestorben. Unabhängig davon forschte gleichzeitig die in Portugal lebende Grossmutter der Walliserin nach ihrer Enkelin und fragte bei einem Luzerner Amt nach. Dort erinnerte man sich, dass das Büro Aicher im Auftrag der jungen Frau forschte. Innert weniger Tage konnte der Kontakt zwischen Grossmutter und Enkelin hergestellt werden. Die Ahnenforschung kann freilich auch Unerwartetes zutage fördern. Aicher erwähnt einen Fall, in dem sich ein Adoptivkind als leibliches Kind der Adoptiveltern entpuppte.
Die eigenen Vorfahren und Wurzeln aufzuspüren, ist keine Hexerei, aber es ist ein zeitaufwendiges Hobby. Unabdingbar dafür ist die Freude am Knobeln, Kombinieren und Recherchieren in alten Schriften wie kirchlichen Tauf-, Ehe- und Totenbüchern für die Zeit vor 1875 und danach in den staatlichen Zivilstandsregistern. Viele biografische Daten und Informationen sind mittlerweile auf dem Internet zu finden. Den Anfang macht man, vereinfacht gesagt, indem man möglichst viele Lebensdaten und Informationen zu den eigenen Eltern und deren Geschwistern sucht. Dann geht man Generation um Generation zurück, bis man nicht mehr weiterkommt. Die aufgespürten Ahnen werden in einen Stammbaum oder in eine Ahnentafel eingetragen. Dafür gibt es mittlerweile Computerprogramme. Doch alle Vorfahren wird man nie eruieren, vieles wird immer offenbleiben. Aus ihrer langjährigen Erfahrung weisen Manuel Aicher und Mario von
Moos auf tückische Fallstricke hin, die man beachten muss. Nur im Internet zu suchen, reicht nicht. Archivbesuche und das Lesen der alten deutschen Schrift sind nötig. Hindernisse ergeben sich, wenn etwa, wie in St. Gallen, Vormundschafts- und Vaterschaftsakten von vor 1950 geborenen Personen vernichtet worden sind. Der Datenschutz, ereifert sich Aicher, kann die Arbeit des Ahnenforschers erschweren. Denn je nach Kanton sind langwierige und kostenpflichtige Bewilligungsverfahren für die Einsichtnahme in Akten erforderlich.
Anleitungen im Internet
Voraussetzung für erfolgreiche Ahnenforschung sind kritisches und vorurteilsloses Hinterfragen der eigenen Resultate und der konsultierten Quellen. Sie können immer fehler- oder lückenhaft sein. Leichtgläubigkeit führe rasch auf falsche Fährten oder ins Leere, sagt von Moos. So bereiten häufige Vornamen wie Hans oder Anna Schwierigkeiten, gleichnamige Personen auseinanderzuhalten. Wenn die Entdeckungsreise in die Vergangenheit der eigenen Familie stockt, helfen Anleitungen im Internet, familienkundliche Fachpublikationen, genealogische Gesellschaften oder die punktuelle Unterstützung durch einen Familienforscher weiter. Der Lohn der Bemühungen: Die Vorfahren bekommen Konturen und werden im Geist wieder lebendig. Und vielleicht ist dann endlich das eine oder andere Familiengeheimnis gelüftet.