<<Vertrauen zur Schule ist elementar>>
Freitagsgespräch Manuel Aicher macht in Dietikon beim Eltern-Lehrer-Forum mit
SULEIKA BAUMGARTNER
Anfang der 90er-Jahre regte ein Elternpaar die Gründung eines Eltern-Lehrer-Forums am Schulhaus Wolfsmatt in Dietikon an. Das Ziel: bessereKommunikation zwischen Elternund Lehrpersonen. Das Anliegen stiess auf offene Ohren und mittlerweile hat sich die Einrichtung etabliert. Einerseitsfindet über die rund zweimonatlichen
Sitzungen ein Informationsaustausch zwischen Eltern und Lehrern statt, andererseits leisten die Eltern «logistische Hilfe» an der Schule, das heisst sie organisieren beispielsweise Anlässe mit. Vorsitzender des Eltern-Lehrer-Forums (ELF) Wolfsmatt ist seit zwei Jahren Manuel
Aicher.
Herr Aicher, weshalb engagieren Sie sich beim Eltern-Lehrer-Forum?
Manuel Aicher: Es ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Ich liebe meine Kinder wie fast nichts auf der Welt. Ich brauche viel Vertrauen, wenn ich' sie so viel Zeit andern überlasse. Dieses Vertrauen möchte ich aufbauen und erhalten.
Und das heisst für Sie?
Aicher: Ich möchte von den Lehrerinnen und Lehrern als Elternteil wahrgenommen werden, nicht unbedingt in meiner Person, aber in meiner Funktion. Ich behaupte provokativ: Ein Lehrer, der hinter einem Kind dessen Eltern nicht sieht, der nimmt auch das Kind nicht wirklich wahr. Um Vertrauen aufzubauen, braucht es Kommunikation.
Wobei ich nicht laufend mit Lehrpersonen reden muss. Wenn das Verhältnis stimmt, komme ich mit wenig Kontakt aus: ein Elternabend, vielleicht einmal ein Telefonanruf. Wenn Störungen da sind, braucht es mehr Aussprache. Ich habe auch keine hohen Ansprüche. Ich muss subjektiv das Gefühl haben, dass die Lehrperson mit offenem Herzen für das Kind da ist und nicht (nur) umgekehrt.
Wie sieht die Organisation des ELF aus?
Aicher: Es gibt keine Mitgliedschaft. Es kommt, wer kommen möchte. Es gibt überhaupt kaum Strukturen, abgesehen von den fünf Sitzungen pro Jahr, die im Voraus vereinbart sind und der Tatsache, dass es einen Vorsitzenden gibt.
Und das entspricht Ihnen?
Aicher: Eher nicht. Ein Ziel, das ich mir vor zwei Jahren gesetzt habe, war, mehr Strukturen zu schaffen. Mit diesem Ziel wurde ich einstimmig gewählt.
Wie sind Sie vorgegangen?
Aicher: Wir Eltern haben zusammen mit Lehrervertretern ein Leitbild und ein Organisationsstatut ausgearbeitet. Dies erwies sich als äusserst kontrovers.
Weshalb?
Aicher: Ich persönlich fühlte mich mit dem Informellen in meiner Rolle immer unwohler. Wir können an den ELF-Sitzungen viel reden, haben aber keine Entscheidungskompetenzen.
Vor allem unter den Eltern gibt es solche, die den informellen Charakter des ELF beibehalten wollen. Aber auch viele Lehrerinnen und Lehrer haben ein anderes Bild von der Schule als ich.
Können Sie Ihr Bild beschreiben?
Aicher: Ich sehe die Schule als ein
Dreieck, bei dem das Kind im Zentrum steht. An den drei Ecken sind die Lehrpersonen, Eltern und Behörden. Die Idealvorstellung vieler Lehrpersonen ist eine Beziehung "wir und die Kinder"
Eltern sind in solch einem System lediglich Störenfriede. Erst recht, wenn sie mitreden möchten.
Dass der heute 44-Jährige einmal Vater werden würde, war für ihn kein bewusster Entscheid. Er habe wahrscheinlich Angst vor der damit verbundenen Verantwortung gehabt, meint der vierfache Vater im Rückblick. Die Älteste, 1989 geboren, besucht die Kantonsschule Limmattal in Urdorf, der Jüngste tritt nach den Sommerferien ins Schulhaus Wolfsmatt ein. Ein Kind ist im Alter von eineinhalb Jahren gestorben.
Aicher, der aus Süddeutschland kommt, lernte seine Frau Noelle auf einer Alp im Bündnerland kennen. Der Student der Rechte in Berlin verbrachte dort seine Semesterferien. Während sieben Sommern arbeitete er auf der Alp.
Nach dem vierten Sommer wurde geheiratet und er übersiedelte in die Schweiz. In der Schweiz arbeitete der Jurist zuerst in einer Literaturagentur, daneben begann er sich beruflich mit Ahnenforschung zu beschäftigen. Seit 1993 lebt er mit seiner Familie in Dietikon, wo er als selbstständiger Genealoge arbeitet und die Zentralstelle für Genealogie betreut. Etwa 20 Prozent seiner Zeit widmet er dem Coaching und der Organisationsberatung.
Sie leben seit 1985 als Deutscher in der Region Zürich. Stellen Sie Unterschiede in der Konflikt-Kultur fest?
Aicher: Eindeutig. Dazu möchte ich ein Schlüsselergebniserzählen: Ich war Mitglied in einem Verein und es gab einen Konflikt. Zur Sitzung, die einberufen wurde, erschien ich pünktlich. Alle anderen hatten sich schon vorher getroffen. Ich stellte nach wenigen Minuten fest, dass sich die anderen einig waren. Worauf ich kurz feststellte, dass die Mehrheitsverhältnisse klar seien. Das wollten die Schweizer aber nicht, sondern versuchten mich in einer 30-minütigen Diskussion von ihrem Standpunkt zu überzeugen. Das grosse Bedürfnis nach Konsens halte ich symptomatisch für dieses Land.
Wie halten Sie es mit dem Streiten?
Aicher: Ich streite eher nicht so gerne, obwohl ich aus einer Familie mit einer Diskussionskultur komme. Ich würde mich als harmoniebedürftig und sensibel beschreiben, wogegen Schweizer mich interessanterweise als konfliktfreudig sehen. Das ist der unterschiedliche kulturelle Kontext.
Und wie sieht es mit der Streitkultur zwischen Lehrern und Eltern aus?
Aicher: Ich habe in sieben Jahren ELF-Mitarbeit nie erlebt, dass Konflikte wirklich thematisiert worden wären. Sie werden anderswo oder gar nicht ausgetragen.
Wie erklären Sie sich das?
Aicher: Ich höre von Eltern, dass sie fürchten, es würde sich nachteilig auf ihr Kind auswirken. Das kann man als lächerlich abtun, man muss sich aber auch fragen, woher diese Befürchtungen kommen.
Hat es etwas mit Dietikon zu tun?
Aicher: Nein. Meiner Meinung nach ist die Schulhauskultur vor allem abhängig vom Umgang der Lehrkräfte untereinander, aber auch von der Grösse einer Schulgemeinde.
Aicher hat sich entschlossen, den ELF-Vorsitz abzugeben. Er habe
seine Vorstellungen, das ELF in Richtung Elternrat zu entwickeln, nicht
durchsetzen können. Auch das sehr zurückhaltende Organisationsstatut mit seinem Antragsrecht hält die Schulpflege für rechtlich problematisch. Trotzdem wird Aicher weiter beim ELF mitarbeiten. Es ist seiner Meinung nach eine wichtige Sache. «Wir haben das Kind sozusagen auf den Weg gebracht», sagt Aicher, «es hat sich nur noch nicht voll entfaltet.» Die Mitarbeit der Eltern an Schulveranstaltungen wie beispielsweise der Sporttag funktioniere gut. Die Wolfsmattzeitung ist ebenfalls ein Produkt des ELF. Bisher zweimal haben Eltern und Lehrpersonen gemeinsam eine Projektwoche gestaltet für Aicher waren das «Höhepunkte».